Neun Beutetiere muss der Neuntöter (Lanius collurio) aufspießen, bevor er selbst zu fressen anfangen darf, so glaubt es der Volksmund. Wie alle Würger sind diese Singvögel überraschend aggressive kleine „Raubvögel“. Zu ihrem Beutespektrum gehören kleine Wirbeltiere, selbst kranke oder verletzte Vögel werden erbeutet. Meistens sind es jedoch Insekten, die vom Neuntöter gefangen werden. Oft wird die Beute auf Dornen aufgespießt. Das dient nicht nur der Vorratshaltung, sondern kann bei großer Beute auch beim Zerteilen hilfreich sein.
Größe: 17–19 cm; Gewicht: 22,5–34 g
Verbreitung: Europa (außer Nordwesten), östlich bis Westsibirien, südlich bis Nordspanien, Italien, Balkan, Naher Osten, Kaukasus und Nordwestiran; Überwinterung in Süd- und Ostafrika
Nahrung: Insekten (v. a. Käfer, Heuschrecken, Hautflügler), andere wirbellose Tiere, Kleinsäuger (v. a. Wühlmäuse), Vögel, Reptilien; im Spätsommer auch Beeren; Beute wird oft aufgespießt
Lebensraum: Offene, warme Landschaften mit niedrigen Büschen oder Gehölzen als Ansitz und Deckung; in Kulturlandschaften auf Brachen, an Hecken, Waldrändern und extensiv genutzten Flächen;
Zugverhalten: Zugvogel; Herbstzug ab Ende Juli, Hauptzug im August/September über den östlichen Mittelmeerraum nach Süd- und Ostafrika; Rückkehr ab Ende März, Ankunft in Europa meist im Mai; Zug hauptsächlich nachts
Brutzeit: Anfang/Mitte Mai bis Juli
Nest: locker gebautes Nest in Dornensträuchern (meist 1–1,5 m hoch), aus pflanzlichem Material, ausgepolstert mit weichen Bestandteilen wie Haaren, Moos oder Pflanzenwolle
Fortpflanzung: monogam; meist 1 Brut pro Jahr, selten 2; 1–8 Eier, Brutdauer 12–16 Tage, Nestlingszeit 14–16 Tage, Betreuung durch beide Eltern; Jungvögel werden ca. 20 Tage nach dem Ausfliegen selbstständig
Höchstalter: 10 Jahre und 1 Monat
Bestand: 84.000-150.000 Brutpaare in Deutschland, 8,2-13,0 Millionen in Europa, 21,9-34,7 Millionen Vögel weltweit
Status: LC – Least Concern, nicht gefährdet, Trend: stabil
In Deutschland Zugvogel, brütet in ganz Deutschland, nicht gefährdet, Trend: stabil
Der Gesang des Neuntöters 🔊 ist leise, schwätzend und enthält viele nachgeahmte Rufe anderer Vogelarten, darunter Amsel 🔊, Buchfink, Goldammer, Meisen und selbst Nicht-Singvögel wie Rebhuhn oder Zwergtaucher. Die Imitationen werden abwechselnd, aber nicht gemischt vorgetragen und können mehrere Minuten dauern. Die höchste Gesangsaktivität liegt zwischen Reviergründung und Paarbildung, wobei auch Junggesellen während der ganzen Brutsaison singen. Typische Rufe sind ein raues „gä“, „gwä“ oder „gek“ sowie Alarmlaute wie „tek-tek“ 🔊oder „dschrää“🔊. Bei Erregung treten Schnabelknappen und vielfältige Lautäußerungen auf; Jungvögel äußern zunächst leises Bettelwimmern 🔊, das sich zu lauten Sperrlauten wie „wjät“ oder „dschrää“ entwickelt.
Der Neuntöter ist in Deutschland nahezu flächendeckend verbreitet, wobei die höchsten Brutdichten im Nordostdeutschen Tiefland und in Teilen der mitteldeutschen Hügellandschaften erreicht werden. In den Mittelgebirgen liegt der Schwerpunkt in Höhenlagen zwischen 400 und 600 m, in Einzelfällen wird bis auf 1150 m gebrütet. Verbreitungslücken bestehen in den Alpen, im Nordwesten Deutschlands, z. B. in Marschgebieten, am Niederrhein und in der Westfälischen Bucht. Auch in Moorgebieten und auf nassen Standorten ist die Art lückenhaft vertreten.
Bevorzugt werden halboffene Landschaften mit niedrigen Gehölzen, Hecken, Magerrasen, Trockenrasen und Weinberglagen. Die Art nutzt auch Störstellen wie Kahlschläge, Böschungen, Auflichtungen und Brachen. Besonders wichtig sind dornenreiche Sträucher, kurze Vegetation und ein reiches Angebot an Insekten. In intensiv genutzten Agrarlandschaften kann der Neuntöter ebenfalls vorkommen, sofern geeignete Strukturen wie Wegränder oder Industriebrachen erhalten sind. In höheren Lagen sind extensiv genutzte Wiesen mit angrenzenden Gehölzbeständen besonders wertvoll.
Der Neuntöter ist ein Langstreckenzieher, der in einem breiten Gebiet südlich des Äquators in Ost- und Südafrika überwintert, besonders in Mozambique, Zimbabwe, Namibia und angrenzenden Regionen. Der Herbstzug beginnt bereits im Juli mit dem Abzug der Altvögel und erreicht seinen Höhepunkt zwischen Ende August und Mitte September. Jungvögel ziehen meist später. Der Zug verläuft in südöstlicher Richtung über den Balkan, vorwiegend Griechenland, nach Afrika. Der Frühjahrszug startet ab März in Afrika und führt über Ostafrika und den Vorderen Orient zurück nach Mitteleuropa, wo die Ankunft in den Brutgebieten überwiegend zwischen Ende April und Mitte Mai erfolgt. Männchen treffen durchschnittlich etwas früher ein als Weibchen.
Die Bestände des Neuntöters sind seit dem frühen 20. Jahrhundert langfristig rückläufig, auch wenn es zwischenzeitlich Erholungsphasen gab. Hauptursache ist der Verlust geeigneter Lebensräume, der eng mit dem Rückgang traditioneller Landwirtschaft verknüpft ist. Zusätzlich beeinträchtigt ein niederschlagsreiches atlantisches Klima mit häufigen Regenfällen im Juni und Juli den Bruterfolg. Der Rückgang betrifft vorwiegend Regionen mit intensivierter Landwirtschaft und fehlenden Gehölzstrukturen, Weidetieren und großen Insekten.
Als besonders schützenswerte Art wurde der Neuntöter bereits 1966 im Vorläufer der Roten Liste geführt, zusammen mit allen in Deutschland brütenden Würgerarten. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich sein Bestand stabilisiert. Seit 2007 gilt der Neuntöter nicht mehr als gefährdet und ist nicht mehr in der aktuellen Roten Liste der Brutvögel Deutschlands aufgeführt.
DDA (2024): Bestandsentwicklung, Verbreitung und jahreszeitliches Auftreten von Brut- und Rastvögeln in Deutschland.. DDA, abgerufen am 17.07.2025.
Um auf seine besondere Gefährdung hinzuweisen, ist der Neuntöter in mehreren Ländern zum Vogel des Jahres gekürt worden. Die Wahl 1985 in Deutschland wurde mit dem Verlust des Lebensraums und dem Rückgang an Großinsekten, der Nahrungsgrundlage der Vögel, begründet.
Der Neuntöter weist einen deutlichen Sexualdimorphismus auf: Beim Männchen sind Kopf und Nacken blaugrau, die Gesichtsmaske ist schwarz, der Rücken rotbraun und der Schwanz kontrastreich schwarz-weiß gezeichnet. Die Unterseite ist weißlich bis lachsfarben, die Flügel meist dunkel mit rostbraunen Rändern. Das Weibchen zeigt eine mattere Färbung mit braunem Rücken, schwächerer Maske und deutlich sichtbarer dunkler Schuppenzeichnung an Brust und Flanken. Im Jugendkleid ähneln die Vögel dem Weibchen, zeigen jedoch eine ausgeprägte Zeichnung auf der Oberseite, eine variable Schuppenzeichnung der Unterseite und eine meist angedeutete Gesichtsmaske. Es treten drei Hauptfarbvarianten auf: der normale, der rotbraune und der graue Typ, die auch innerhalb einer Population variieren können.
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