Der Rotaugenvireo (Vireo olivaceus) ist ein nordamerikanischer Singvogel, der jährlich mit wenigen Individuen auch in Europa nachgewiesen wird. Normalerweise zieht er im Herbst nach Südamerika und passiert dabei auch den Golf von Mexiko. Dieser wird in der Regel nicht direkt überquert – der Rotaugenvireo fliegt bevorzugt in Küstennähe. Auf dem Weg nach Europa legt er jedoch weite Strecken über offenes Wasser zurück. Besonders häufig wird die Art auf den Azoren beobachtet, etwa 2.000 km östlich des nordamerikanischen Festlandes – eine enorme Leistung für einen nur 26 g schweren Vogel.
Solche Leistungen sind nicht ungewöhnlich: Auch die Steinschmätzer der ostkanadischen Population überqueren auf dem Zug nach Westafrika zweimal im Jahr den Atlantik. Ein mit einem Geolokator ausgestatteter Vogel flog ohne Unterbrechung von der Baffininsel in der kanadischen Arktis bis auf die Britischen Inseln. Die rund 3.500 km legte er in vier Tagen zurück und setzte seinen Flug über weitere 4.000 km nach Mauretanien fort, wo er überwinterte. Im darauffolgenden Frühjahr wählte er die gleiche Route zurück.
Größe: 12–13 cm; Gewicht: 12-26 g
Verbreitung: Brütet in großen Teilen Nordamerikas von Alaska und Kanada bis in den Süden der USA. Überwintert in Südamerika, primär im Amazonasbecken.
Nahrung: Insekten (v. a. Raupen), Spinnen, Schnecken sowie kleine Früchte und Beeren. Im Winter überwiegend frugivor.
Lebensraum: Laub- und Mischwäldern mit dichter Strauchschicht; auch in Parks, Gärten und Friedhöfen mit großem Baumbestand. Zugverhalten: Langstreckenzieher überwintert in Südamerika. Ankunft in den Brutgebieten ab Mitte April bis Juni. Herbstzug von August bis Oktober; zieht nachts.
Brutzeit: Mai bis Juli
Nest: Offenes Napfnest in niedriger bis mittlerer Höhe in Sträuchern oder kleinen Bäumen.
Fortpflanzung: monogam. Eier: 3–5. Bruten pro Jahr: 1–2. Brutdauer: 11–14 Tage. Nestlingszeit: 10–12 Tage. Flügge: nach 10–12 Tagen. Elterliche Betreuung: bis zu 25 Tage nach dem Ausfliegen.
Höchstalter: 12 Jahre
Bestand: 130 Millionen Vögel
Status: nicht gefährdet (Trend: stabil)
In Deutschland: sehr seltener Gastvogel; zwei Nachweise Oktober 1957 und September 2021 auf Helgoland
Der Gesang 🔊 des Rotaugenvireos besteht aus kurzen, 2–5-silbigen Motiven, die klar, aber eher farblos und monoton klingen. Die höchste Gesangsaktivität liegt zwischen der Ankunft im Brutgebiet und der zweiten Septemberhälfte. Nur im Juli und Anfang August nimmt die Aktivität während der Mauser ab. Der Vogel singt auch zur Mittagszeit und gelegentlich nachts. Außerhalb der Brutzeit sind verschiedene nasale Rufe 🔊 und Alarmlaute wie „quiie“, „tschilp“ oder „tschrr“ zu hören.
Der Rotaugenvireo ist eine der am weitesten verbreiteten Singvogelarten Nordamerikas. Sein Brutgebiet erstreckt sich über große Teile Kanadas und der USA, vom südlichen Yukon bis nach Florida. Im Winter zieht er in den Norden Südamerikas, insbesondere nach Amazonien, wo er in weiten Teilen des Amazonasbeckens überwintert.
Dieser Vireo bewohnt während der Brutzeit primär laubholzdominierte Wälder, vorwiegend misch- und laubholzreiche Standorte mit geschlossenem Kronendach. Er bevorzugt strukturreiche Waldinnenbereiche, ist aber auch in Waldsäumen, größeren Parks und baumbestandenen Vorstädten anzutreffen. Im Winter hält er sich in tropischen Regenwäldern und feuchten Tieflandwäldern Südamerikas auf, wo er überwiegend in der oberen Baumschicht lebt.
Der Rotaugenvireo ist ein Langstreckenzieher, der im Herbst über Mittelamerika in die tropischen Tieflandwälder Südamerikas zieht. Der Frühjahrszug erfolgt in mehreren Wellen und beginnt bereits im März in Südamerika, mit Ankunft in Nordamerika ab April. Beim Herbstzug nutzen viele Individuen eine direkte Route über den Golf von Mexiko, wobei sie häufig nachts migrieren. Der Herbstzug setzt im August ein, hat seinen Höhepunkt Ende September/Anfang Oktober und erstreckt sich bis zum Beginn des Novembers.
Der Rotaugenvireo ist in Europa eine Ausnahmeerscheinung. Seit den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts wird diese Art jährlich in Irland und Großbritannien nachgewiesen. In Deutschland gibt es bisher nur zwei Nachweise, im Oktober 1957 und im September 2021 auf Helgoland.
Das passt in das Beobachtungsmuster des Rotaugenvireos in Europa. Alle Beobachtungen der letzten 25 Jahre wurden in den Monaten September bis November gemacht. Der Schwerpunkt lag dabei auf dem Oktober. Besonders häufig sind die Vögel auf den Azoren un den Britischen Inseln aufgetreten.
Der Rotaugenvireo ist ein kompakt gebauter, kräftiger Bewohner der Baumkronen mit olivgrüner Oberseite und weißer Unterseite. Das Federkleid adulter Vögel ist durch einen blaugrauen Scheitel, einen breiten weißen Überaugenstreif und einen dunkelgrauen Augenstreif gekennzeichnet. Jungvögel sind insgesamt matter gefärbt, mit einer gelblichbraunen Oberseite, einer verwascheneren Kopfzeichnung und weißlich-beiger Unterseite. Auffällig ist die irisierende Rotfärbung der Augen adulter Vögel, während Jungvögel zunächst braune bis kastanienbraune Iris zeigen, die sich erst im Winterquartier rot färbt.
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